Pech-Merle 2
Wie freute man sich über die nüchternen und klaren Feststellungen der sachkundigen Fährtenleser aus Südafrika, weil sie ein paar Fragen zu den steinzeitlichen Vorgängen in den Höhlen eindeutig beantworteten, zu denen es bis dahin immer nur mehr oder weniger vage Vermutungen gab.
Bei vielen anderen Fragen, die wir uns im Zusammenhang mit unserer Frühgeschichte stellen, werden wir möglicherweise nie zu derart klaren Erkenntnissen kommen; dazu liegen die Ereignisse einfach viel zu weit zurück. Das wird schon allein daraus ersichtlich, daß man bei Datierungen der ältesten Höhlenmalereien selbst mit der C14-Methode nichts ausrichten kann, weil die Zahl der Kohlenstoffatome in den Proben unter eine auswertbare Menge gefallen ist.
Aber im Angesicht der vollendeten Kunstwerke, vor denen wir in den Höhlen staunend stehen, drängen sich die Fragen weiterhin auf. Was taten die eiszeitlichen Besucher von Pech-Merle, deren Fußabdrücke noch von ihnen künden? Wollten sie Höhlenwände besuchen, die schon mehr als 10.000 Jahre vor ihnen bemalt worden waren? Oder gehörten sie zu denen, die ihnen die jüngsten Bilder hinzufügten? (Eine der Frauen in Pech-Merle trug nach Aussage der San eine Last. Malmaterial?)
Über welch nahezu unfaßliche Zeiträume reden wir hier überhaupt? Eine Höhle, die über mehr als 10.000 Jahre von Menschen aufgesucht und in mindestens drei, mehrere Jahrtausende auseinanderliegenden Phasen von ihnen mit Dutzenden Tier- und Menschenbildern und an die 500 abstrakten Zeichen ausgemalt wurde!
Die größte Attraktion der Höhle von Pech-Merle sind die berühmt gewordenen gescheckten Pferde. Ihre Abbildungen in Lebensgröße sind nicht nur künstlerisch gelungen, sie sind nach heutigen Erkenntnissen auch die ältesten in der Höhle und ungefähr 25.000 Jahre alt. Lange hielt man ihre Appaloosa-Scheckung für Fantasie oder für magischen Praktiken geschuldet. 2011 aber fanden Paläogenetiker in DNA-Proben von Urzeitpferden die Gene, die für die sogenannte Tigerscheckung verantwortlich sind. Es gab also um die Entstehungszeit der Bilder in Pech-Merle durchaus solche gescheckten Pferde. (Und in der verschneiten Tundralandschaft der Eiszeit verlieh diese Fellfärbung den Tieren eine gute Tarnung.)
Schnell wurde daraus gefolgert, die frühen Künstler hätten schlicht realistisch dargestellt, was sie in ihrer Umgebung gesehen hätten, mehr nicht, Punkt. Die Proportionen der Pferde aber, besonders die kurzen Beine und sehr kleinen Köpfe, entsprechen nicht gerade einer realistischen Darstellung. Und warum gehen von den über 200 schwarzen Punkten mehrere über die Umrisse der Pferdeleiber hinaus? Wozu gibt es nicht nur schwarze, sondern auch rote Punkte? Sind diese Punkte wirklich nicht mehr als realistische Fellwiedergabe? Oder reine Dekoration? Oder steckt doch mehr in ihnen? Waren sie Teile eines Codesystems? Waren sie Zeichen, die auf etwas Anderes verwiesen? Symbole? Wofür? Mit jeder neuen Erkenntnis oszilliert die Wissenschaft in ihren Interpretationen immer wieder zwischen den altbekannten Deutungen, und auch ich bin in einer schnellen Pirouette wieder am Anfang angekommen: Die Kunst der Eiszeit stellt uns Fragen, auf die wir keine eindeutigen Antworten finden. Es bleibt also spannend.