Zen oder die Kunst, Tee zu bereiten
Tee? Kaffee!
Ich hatte mich im Vorfeld sehr darauf gefreut, mit Japan endlich in ein Land zu reisen, wo man überall eine gute Tasse Tee bekommen könnte. Weit gefehlt. Auch die Japaner sind im Verlauf ihrer Amerikanisierung ein Volk von Kaffeetrinkern geworden.
Dieses überall kunstlos schnell von einer Maschine ausgepinkelte, schwarze Gebräu, dessen bitterer Eigengeschmack meist von verschieden großen Anteilen aufgeschäumter Milch, amerikanisch latte („lätteh”) genannt, so verändert wird, als würde es aus dem Euter einer Kuh gezapft, der man ein wenig Cola zu trinken gegeben hat, wird von Starbucks & Co überall in Japan angeboten. Dagegen erhielt ich mit einer bedauernden Verbeugung etliche Male die Auskunft: „Sorry, no tea.” Kein Tee. In Japan. Es ist ein Skandal.
Könnte ich in Kyoto doch nur dem alten Teeverkäufer begegnen! Ich würde ihn sofort bitten, mir mit dem klaren Wasser aus einem nahen Bach auf seinem Holzkohlebecken ein Kännchen von seinem Sencha zuzubereiten. Ich würde ihm dafür auch etliche Münzen in seine Bambusspardose stecken. Doch dazu hätte ich etwas früher aufstehen müssen, etwa 270 Jahre früher.
« Dem tonlosen Rhythmus der Felsen zuhören»
Wegen des im Sommer angenehmeren Klimas auf den Hügeln, die gleich am Stadtrand Kyotos aufsteigen, standen in den Hainen dort oben die Landhäuser wohlhabender Familien, und etliche Künstler und Gelehrte lebten ebenfalls dort. Sie verehrten dem alten Mann, der in diesem Jahr nach japanischer Zählung 80 Jahre alt wurde, eine von ihnen kollationierte Sammlung seiner Gedichte, Baisao gego.
Oft hatten sie ihn an landschaftlich besonders schönen Punkten am Rand der Hauptstadt seine Utensilien aus dem Tragekorb nehmen, Holzkohle in einem Becken anglühen und frisches Wasser aus einem nahen Bach schöpfen gesehen. Wenn er gut aufgelegt war, und laut Augenzeugen war er immer gut aufgelegt, servierte er ihnen zum Tee ein Stegreifgedicht oder eine Zen-Weisheit. „Jeder kommt hierher und sucht / die spezielle geistige Übertragung des Zen. / Ich stoße sie mit der Nase / auf Dinge ihres Alltagslebens.”
Baisao war mehr als ein alter Teeverhökerer, er war ein Dichter, der zudem für seine wunderschönen Kalligrafien gerühmt wurde, und er war ein Zenmönch – bis er mit Erreichen unseres heutigen Pensionsalters aus dem geistlichen Stand austrat und lieber noch zwanzig Jahre als Laie weiterlebte. Bei anderen ist der Schritt meist in umgekehrter Richtung erfolgt; sie ließen sich erst in reifem Alter, wenn sie an den Tod denken mußten und an das, was sie danach erwarten mochte, die niederen Weihen erteilen. Selbst der exkommunizierte Ketzer-Kaiser Friedrich II. ließ sich auf dem Totenbett in eine graue Zisterzienserkutte kleiden.
«hart an Zen gearbeitet / kein Verständnis erlangt»
schrieb der alte Baisao in einem „Stegreifgedicht für ein Portrait”.
Fernöstliche Philosophien oder Religionen wie Konfuzianismus und Buddhismus geraten nicht leicht in den Verdacht, in irgendeiner Form zu Aufruhr und Rebellion gegen Staat und Obrigkeit zu motivieren; eher im Gegenteil. Aber besonders der Zen-Buddhismus hat immer wieder eigenständige Denker hervorgebracht, die sich ganz bewußt außerhalb der Gesellschaft und quer zur Orthodoxie stellten. Der Bekannteste von ihnen dürfte Ikkiyu sein, dessen vierbändige Graphic-Novel-Biografie auch ins Deutsche übersetzt wurde. (Zu ihm vielleicht später einmal etwas mehr.) Auch Baisao darf zu diesen unorthodoxen Denkern und Dichtern gezählt werden. Schon allein seine Entschlüsse, nach sechsundfünfzig Jahren gehorsamen Lernens und Dienens den Zentempel von Hasuike auf Kyushu zu verlassen, und besonders eben sein Schritt, mit Ende sechzig aus dem geistlichen Stand auszutreten und sein Leben als sehr ärmlich lebender Laie zu beschließen, sind klare äußere Anzeichen dafür, daß er sich nicht aus Bequemlichkeit für faule Kompromisse hergab. Er blieb ein Denker auf der Grundlage des Zen-Buddhismus, aber ein eigenständiger Denker, ein freier Geist.
Die Arten des Schweigens gelernt
mitten im Lärm des städtischen Treibens,
die Dinge nehmend, wie sie kommen,
ist jeder Ort, an dem ich bin, wahr.
Der Ort ist beliebig, das Ich ist keineswegs aufgegeben, zur Bedeutung des „wahr” gibt es eine im Shoyoroku, einer wichtigen Grundlagenschrift des Zen-Buddhismus, überlieferte Episode aus dem Leben Buddhas: Auf einer seiner Wanderungen hielt der Buddha Shakyamuni an einer Stelle an, zeigte auf den Boden und erklärte, dieser Ort sei zur Errichtung eines Heiligtums geeignet. Einer seiner Schüler nahm daraufhin einen Grashalm, steckte ihn an der Stelle in die Erde und sagte: „Das Heiligtum ist errichtet.” Der Buddha lächelte, weil er verstanden worden war.
Eine sehr schöne Buddha-Geschichte!
Als Nicht-Kaffeeliebhaberin verstehe ich deinen Nicht-Tee-Frust sehr gut 😉
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Empfehlung, nicht nur für Tee-Liebhaber : Meng-Lin Chou’s Tee-erleben-Blog auf https://charen.ch
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ich weiß von Zen sehr wenig, aber das Aufrichten eines Grashalms als Tempel verstehe ich sofort. Einen ganz ähnlichen Gedanken äußerte ich in meinem Eintrag „von geblümten und aufgerichteten Steinen“.
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